Reaktionen statt echtes Leben: Warum Social Media uns so oft von uns selbst entfernt – und Zufriedenheit trotzdem geht. Leise. In sich ruhend. Und ganz ohne Filter. 

 

Es wird an mich gedacht – also bin ich

Wenn man einen kleinen Online-Shop hat, kommt man um Online Präsenz nicht drumherum. Ich hadere oft damit. Denn es ist Fluch und Segen zugleich.

Als Mensch möchte ich eigentlich gerne darauf verzichten. Warum? Ich versuche es irgendwie zu erklären.

Cogito- ergo sum. „Ich denke, also bin ich –  hat Descartes einst gesagt. In einem anderen Zusammenhang als es heute oft benutzt wird, aber es ist nicht umsonst eines der meistzitierten Zitate der Philosophie. 

Das war mal.

Heute ist es nicht mehr "Ich denke, also bin ich", sondern "Es wird an mich gedacht, also bin ich". (Ich kenne den Urheber dieser Variation nicht, aber er war sicherlich Soziologe 😉 )

Ein Ping, ein Herz, ein Tag – und schon fühlt man sich ein bisschen echter. Wir definieren uns längst nicht mehr nur durch das, was wir tun – sondern durch das, was andere an uns zurückspiegeln. Reaktionen sind die neue Realität.Aktionen, die nur für uns alleine sind- nicht mehr wichtig.

Ein Like ist ein Lebenszeichen. Ein Kommentar ein kurzer Beweis: Ich existiere für dich. Und was früher introspektiv war – das stille Nachdenken, das eigene Fühlen – ist heute öffentlich. Oder verlernt.

Wir denken, damit man es sieht. Wir fühlen, damit man es teilt. Aber wer sind wir, wenn mal niemand reagiert? 

Der Druck, immer was zu machen 

Es scheint, als müsste man ständig an sich arbeiten. Neues Projekt? Check. Sprachkurs? Check.

Der Jogger, der an mir vorbeiläuft, dem das Joggen alleine nicht genügt. Er MUSS nebenbei gleichzeitig noch den Spanisch-Kurs mit Headset machen, damit die Zeit auch ganz, ganz wirklich optimal ausgenutzt wird (Kein Scherz, ich hätte mich nicht gewundert, wenn er noch jongliert hätte dabei, einen Fußball vor sich hergedribbelt und Alkohol destilliert hätte). 

Was soll der Unsinn? Ist das Optimierungswahn? Oder das Gefühl, immer alles zu müssen? Persönlichkeitsentwicklung? Natürlich auch. Aber: „Was machst du gerade?“ klingt selten nach echter Neugier oder Interesse.

Eher wie ein stiller Leistungstest. Bist du auch wirklich genug damit beschäftigt, mehr zu wollen?

Und dann? Hadern wir, wenn wir es nicht hinbekommen. Setzen uns unter Druck. Wollen funktionieren. Und mithalten. Werden unzufrieden.

Aber wehe, du sagst: „Ich mache gerade nichts Besonderes. Ich bin einfach mal zufrieden.“  

Zufriedenheit – das unterschätzte Lebensgefühl

„Ich bin zufrieden“ – das klingt harmlos. Sogar ziemlich ambitionslos. Aber in Wahrheit ist es doch eigentlich fast revolutionär. Denn Zufriedenheit ist still. Sie macht keine großen Wellen. Sie braucht keine Beweise. Sie lebt in Momenten, die nicht geteilt werden müssen. Im Kaffee, der genau richtig ist, in der Stille, die nicht unangenehm ist.

In der Erkenntnis: Gerade jetzt in diesem Moment ist es gut. Und das reicht. Ich bin völlig ok damit! Mehr muss nicht immer mehr sein. Ich möchte kein schlechtes Gewissen haben, wenn ich mir Zeit nehme zum Lesen. Weil es nicht "produktiv genug ist". Zu wenig nach Leistung aussieht.

Wenn Zufriedenheit schwerfällt

Und ganz oft ist es so, dass Menschen nur schwer damit umgehen können, wenn jemand zufrieden ist. Es ist merkwürdig. Nicht "normal". Komisch. So als hätte derjenige keine Ansprüche oder Ambitionen. Wenn doch alle immer mehr und schneller und weiter und besser und größer sein wollen und vor allem zeigen wollen. Auf Social Media. In der Einfahrt. Mit der Handtasche. Jeder will doch haben, was alle anderen haben oder? Jeder muss doch sein Häkchenleben abarbeiten?

Es ist irgendwie merkwürdig, wenn du dich da nicht einreihst. Auch dann, wenn es überall proklamiert wird: sei doch mal zufrieden!

Vielleicht ist okay sein das neue Ziel

Vielleicht sollten wir öfter sagen dürfen: Ich bin gerade einfach zufrieden.“? Nicht als Ausrede. Nicht als Tiefpunkt.

Sondern als ehrlichen Zwischenstand. Denn auch Zufriedenheit braucht Raum.

Ich mag diesen Zustand. Er lässt zwar nicht das Herz aufgeregt klopfen. Aber er fühlt sich wie eine ganz schön wohlige Wärme tief im Inneren an. So wie Heimkommen. Oder frisch gekochter Griesbrei.

Er ist leiser als Glück, dieser Zustand. Weniger dramatisch als Krise – aber genauso echt. Und vielleicht gar nicht so selten, wie wir denken. Nur eben nicht so laut.